Montag, 29. September 2025

Stadtautobahn gegen Bergpfad – Québecs zwei Gesichter

Asphalt, Adrenalin und Ahornwälder: der Weg zum Jacques-Cartier-Park

 Quebec war unsere erste richtige Großstadt in Kanada, und plötzlich saßen wir mitten im Asphalt-Dschungel: sechsspurige Stadtautobahnen, Spurwechsel, Tempo des fließenden Verkehrs nicht unter 100 km/h, LKW, die wie Berge auf Rädern daher rollen. 

Da bwünscht man sich das 80–90 km/h Landstraßentempo zurück, obwohl – aber auch hier geht es brutal zur Sache: Ein tonnenschwerer Supertruck setzte sich hinter uns: riesige Auflieger, die lange Schnauze, beleuchtet wie ein Weihnachtsbaum und schnell unterwegs. Der Wagen kam näher – kein freundlicher Abstand, sondern Luftdruck im Nacken. Meine Gedanken rasten: Spurwechsel erlaubt? Überholen? Wohin ausweichen? Dann, im Moment der Entscheidung, gelang’s: Ein kurzer Spurwechsel, ein kleiner Schlenker, dann 130 km/h (ja, entgegen der Regel, aber der Adrenalinpegel war schuld) – und zack, der LKW verschwand im Rückspiegel. Herz klopfte, Hände kribbelten – aber wir hatten’s geschafft. Keine Blechschäden, kein Hupen, nur die Erinnerung daran, dass selbst in ruhigen Reiseflows solche Konfrontationen passieren können.

Nachdem wir den Großstadtdschungel hinter uns gelassen hatten, führte uns der Weg in den Parc national de la Jacques-Cartier, nördlich von Québec. Unser Ziel war die Loup-Wanderung (französisch „Les Loups“) am Mont Sautauriski

Der Trail ist eine der spektakuläreren Touren des Parks: Der Anstieg beginnt recht steil und fordert Kondition, denn man steigt gut 452 Meter Höhenverlauf auf. Nach einiger Zeit erreicht man den ersten Aussichtspunkt auf ca. 574 m – ein Panoramablick über das Tal der Jacques-Cartier und die steilen Wände entlang des Flusses. Die zweite Hälfte der Strecke ist weniger steil, aber technisch anspruchsvoll: Pfade werden schmaler, der Boden felsiger, gelegentlich klettern wir  ausgesetzte Passagen entlang von Steilhängen. Am Gipfel auf 727 m steht man dann über dem Laurentischen Gebirge, mit Blick auf das Tal, den Fluss und die umliegenden Wälder. 




Wir starteten mittags, durch dichten Herbstwald, Laub raschelte unter den Stiefeln, Lichtflecken spielten auf dem Boden. Der Weg wurde steiler, der Atem schwerer. Teilweise mussten wir kleine Felsen hochklettern, über Baumstämme steigen. Immer wieder Pausen, um den Blick zurück ins Tal schweifen zu lassen, um Farben zu entdecken, um Stille zu atmen.

Sonntag, 28. September 2025

Von Schluchten zu Stufen: Sainte-Anne trifft Montmorency

Zwischen Hängebrücken und Treppenkunst – Québecs Wasserfälle

 Unsere nächste Etappe von Baie-Saint-Paul nach Québec war mal eine der kürzeren: knapp 100 km. Aber wir wollten nicht einfach durchfahren – auf dem Weg lagen Wasserfälle, Schluchten und ein Park, der uns mehr überraschte, als wir je gedacht hätten.

Unser erster Stopp war der Canyon Sainte-Anne  an der Route 138. Was auf den ersten Blick wirkte wie ein Freizeitpark mit Eintritt und Zipline, entpuppte sich als spektakulöser Naturort mit tiefer Schlucht, hohen Wasserfällen, vielen Treppen und schwebenden Hängebrücken. 

Der Hauptwasserfall stürzt 74 Meter in die Tiefe – höher als oft gedacht und durchaus imposant. Es gibt drei Hängebrücken, darunter eine die 60 m über der Schlucht hängt.Wir zahlten den Eintritt – 14,50 CAD – und betraten das Gelände mit mehr Neugier als Erwartung. 



Der Weg durch den Canyon ist charmant angelegt: viele Treppenstufen führen hinab, hinauf, entlang der Schlucht, zu Aussichtsplattformen, über Brücken und durch den Wald. Manchmal blickt man direkt an die tosenden Wassermassen herab, an anderen Stellen hört man sie nur als tiefes Grollen unter sich.





Wir verließen den Canyon Sainte-Anne mit noch nassem Gänsehautgefühl von Brücken und Schluchten und fuhren weiter Richtung Québec. Der Plan: nicht nur vorbeischauen, sondern ganz nach oben klettern – zu Montmorency Falls, dem Wasserfall, der sich vor Kraft kaum halten kann.

Schon von weitem sieht man den Sprühnebel, der in der Luft hängt, und hört das Donnern, bevor man den Boden spürt. Der Montmorency Falls Park liegt nur rund 12 km von der Altstadt Québecs entfernt. Der Wasserfall stürzt auf etwa 83 Meter – damit ist er rund 30 Meter höher als Niagara Falls.

Im Park gibt es mehrere Wege nach oben und mehrere Perspektiven: Man kann mit der Seilbahn hochfahren, mit dem Auto näher gelangen oder … sich sportlich beweisen und die 487 Stufen der Panoramatreppe erklimmen, die sich entlang der Felswand nach oben ziehen. Wir entschieden uns natürlich für das Hochlaufen.

Wir starteten am Fuß, mit Blick auf die tobende Gischt, deren Sprühnebel uns schon beim ersten Schritt einwehte. Die ersten Stufen waren noch freundlich – breite Holzstufen, Geländer, Atmen klar und frisch. Doch bald wurde es steiler: der Weg schwenkte zur Felswand, der Treppenabschnitt wurde schmaler, die Stufen höher, der Blick tiefer.

Man hört unter sich das Wasser, sieht es hinabstürzen, tropfende Felsen, grünen Bewuchs, Dunkelmoos. Der Nebel erreicht uns, manchmal ein Tropfen im Gesicht. Der Puls steigt, die Beine wollen nicht mehr Treppen steigen. Pause auf der Brücke zum gegenüberliegenden Ufer, ein Blick über Strom, Felsen und Wipfel.

Oben angekommen ist der Ausblick eine Belohnung: man steht über der Falte der Erde, sieht Québec City in der Ferne, den St. Lorenz-Strom ausgebreitet, die Inseln und Brücken. Der Wasserfall darunter fällt in gewaltiger Wucht und spielt mit Licht und Schatten, mit Regenbögen und Gischt. Und ab und zu fliegt ein mutiger Zipliner am tosenden Wasserfall vorbei. 



Wir gönnten uns Zeit, nah an die Kante, fühlten die Kraft, fotografierten, staunten – und dachten daran, wie anders die Blicke beim Canyon Sainte-Anne waren, mit seinen schmalen Schluchten und schwebenden Hängebrücken. Hier war es größer, wuchtiger, majestätischer – aber beide Orte verband derselbe Zauber: Natur, Höhenmeter, Gefahr und Schönheit.

Der Rückweg war eine Mischung aus Genuss und Erschöpfung – Treppen hinab, kleine Umwege, nochmal Stops für Perspektivwechsel. Aber immer mit dem Gefühl: das war keiner der Wasserfälle, den man „einfach so mitnimmt“.

Mit dem Rad um die Apfelinsel – Île aux Coudres

 Baie-Saint-Paul – Künstlerstadt am Strom

Wir haben uns für zwei Tage Baie-Saint-Paul als unsere Basis ausgesucht. Der Ort liegt am Nordufer des Sankt-Lorenz-Stroms und wirkt fast wie ein Geheimtipp: eine lebendige Innenstadt, viele Galerien, Künstlerateliers, kleine Geschäfte, Cafés, ein mexikanisches Restaurant und eine sehr angenehme, überschaubare Größe.

Baie-Saint-Paul gilt als kulturelles Zentrum in der Region Charlevoix – mit dem Ruf, besonders licht- und landschaftsinspirierend für Maler und Künstler zu sein. Ein nettes Detail: der Cirque du Soleil hatte hier seine Anfänge – die Stadt hatte sich 2007 sogar den Titel „Capitale culturelle du Canada“ gesichert. 




Auf zur Insel – Isle‐aux‐Coudres

Mit Fahrrädern wollten wir die Insel gegenüber umrunden. Dafür gibt es eine kostenlose Fähre von Baie-Saint-Paul zur Île aux Coudres. Die Fähre verkehrt alle 30 Minuten und kann 50–60 Autos transportieren. Wir hatten Glück – keine lange Wartezeit, und schon bald fuhren wir auf die Insel.

Der Plan: mit dem Rad die Insel umrunden – etwa 25 km – das sollte doch machbar sein.

Der Fahrradverleiher nahm unseren Personalausweis als Pfand und wies uns auf Versicherungsbedingungen hin: Asphaltstraßen erlaubt, auf Wald- oder geschotterte Wege (gravel roads) verboten und zwar strengstens.

Die ersten Kilometer führten – ganz brav – auf asphaltierten Straßen entlang, durch sanfte Hügel. Aber schon nach ca. 5 km merkte ich, dass mich das Bergauf ohne Motor anstrengt – gefühlte 500 Höhenmeter? Natürlich genau dann, wenn der Körper sagt: Kaffee und Apfelkuchen! Die Insel ist kulinarisch bekannt für all das, was mit Apfel zu tun hat: Apfelkuchen, Apfelwein, Apfelschnaps. Der Ahornsirup lebt hier im Schatten.

Wir wollten auch die Leuchttürme erkunden – und einer von uns war (und ist) großer Fan beleuchteter Seezeichen. Kaum bog ein Weg rechts ab – natürlich unbefestigt – war klar: wir ignorieren die Warnung des Vermieters. Den ersten Kilometer schoben wir die Räder durch einen Waldwanderpfad – nicht der richtige Weg, aber Abenteuer riecht eben selten nach Asphalt.

Etwa 30 Minuten und steilere Passagen später beschlossen wir: ab hier wird gewandert. Die Räder blieben am Rand stehen. Der Pfad war steil und wäre sicher nicht gedeckt von irgendeiner Versicherung, sollte etwas passieren. Fahrraddiebstahl , davon hat der Vermieter nichts gesagt. 

Nach etwa einem Kilometer spürten wir, dass wir richtig lagen: wir sahen den Leuchtturm – erreichbar nur bei Ebbe –, fotografierten und genossen den Blick. Auf dem Rückweg: Überraschung – die Fahrräder standen noch da! Alles heil, keine Diebstahlswarnung, wir konnten weiterfahren.



Mit allen Stopps und dem Umweg haben wir für die 30 km fast 4 Stunden gebraucht. Aber wir erreichten die Highlights der Insel: kleine Strände, Äpfel, malerische Küstenabschnitte, Feldwege, Aussichtspunkte und – natürlich – Leuchttürme.





Knöcheltief im Fjord, teelöffeltief im Sirup

 Nach unserem Ausflug tief in die kanadische Fjordlandschaft ging es zurück an den Sankt-Lorenz-Strom, nach Baie-Saint-Paul. Unterwegs wollten wir uns unbedingt noch von den Walen verabschieden – diesmal von der anderen Seite der Bucht.





Wir kamen bei Ebbe an und zogen unbedarft los, weit hinein in den „trockenen“ Fjordarm. Fernglas und Kamera stets griffbereit, um den Wal des Tages festzuhalten. Doch so richtig vorbereitet waren wir nicht auf die Geschwindigkeit, mit der die Flut hier das Wasser zurückdrückt. Kaum hatte man das Fernglas auf die weißen Belugas scharf gestellt, stand man plötzlich knöcheltief im Wasser. Also hieß es: Rückzug, Schritt für Schritt, während das Wasser schneller stieg, als wir gucken konnten.

Später, auf einem Markttag, stand dann das nächste typisch quebecerische Thema an: Ahornsirup. Schließlich sind wir im Mutterland des süßen Goldes. Und die Tagesaufgabe lautete: einen Überblick über die verschiedenen Qualitäten gewinnen.


Ahornsirup – Farbe, Geschmack, Erntezeit

In Québec gilt seit 2016 eine einheitliche Klassifizierung: Alle Sirupe sind 100 % rein – die Unterschiede liegen in Farbe und Geschmack.

  • Golden, delicate taste
    – Sehr hell, mild im Geschmack, frühe Erntezeit (Ende Februar/März).
    – Beliebt zum direkten Genießen (Pancakes, Joghurt).

  • Amber, rich taste
    – Bernsteinfarben, vollmundiger Geschmack, Haupterntezeit im März.
    – Universell einsetzbar, der „Allrounder“.

  • Dark, robust taste
    – Dunkel, kräftig, später im Frühjahr geerntet.– Intensiver Geschmack, passt gut zum Kochen, für Marinaden oder kräftige Desserts.

  • Very dark, strong taste
    – Fast schwarz, sehr kräftig, aus der letzten Erntephase.
    – Wird oft für die Küche genutzt, weniger zum puren Naschen

Wichtig: Die Farbe sagt nichts über „besser oder schlechter“, sondern nur über den Erntezeitpunkt und die Geschmacksintensität.

Und ein Biosiegel? Macht kaum Sinn – wer düngt schon Ahornwälder mit giftigen Chemikalien? Am Ende hilft nur eins: kosten. Ein Teelöffel pro Sorte, mindestens. Spätestens ab dem dritten Löffel ist eh alles nur noch süß, und man muss sich an seinen persönlichen Favoriten rantasten. Oder, wie uns ein Verkäufer verschmitzt erklärte: „Nicht Sie suchen den Sirup – der Sirup sucht Sie.“

Freitag, 26. September 2025

Steil, schlammig, verlaufen – ein perfekter Wandertag

Indian Summer im Extremmodus: 12 Kilometer Mont-Valin

 Wir haben uns für zwei Nächte im Fjordhotel in Saguenay eingenistet. Von hier aus sollte es nun endlich auf eine „richtige“ Wanderung gehen – keine kleinen Bretterstegrunden am Fjordufer, sondern eine echte Bergtour, durch den farbgetupften Herbstwald, mit Höhenmetern, Schweiß und allem Drum und Dran. Ziel: der Mont-Valin-Nationalpark, nur ein Stück nördlich von Saguenay.


Die erste Überraschung gab’s schon am Eingang: Unser stolz erworbener „Expeditionspass für alle kanadischen Nationalparks“ – tja, der gilt in Québec nicht. Offenbar zählt Québec nicht so richtig zu Kanada, jedenfalls nicht in dieser Hinsicht. Also mussten wir noch einmal in die Tasche greifen für einen Tagespass der „Sépaq“-Parks. Aber ehrlich: Das Geld ist gut angelegt. Ein perfektes Informationszentrum mit blitzsauberen WCs, eine kleine Ausstellung, und Mitarbeiter, die so freundlich sind, dass man fast denkt, man habe einen persönlichen Guide gebucht. Und nicht zuletzt: hervorragend gepflegte Wanderwege. Dafür sind 8 € pro Tag mehr als fair.

Dann ging es los. Die Zahlen sprechen für sich: 12 Kilometer, 700 Höhenmeter, knapp 5 Stunden. Das war für meine Beine mindestens eine Herausforderung, für meinen Kopf zwischendurch auch. Wir stapften bergauf, vorbei an Ahornbäumen, die in allen Rot- und Gelbtönen explodierten, zwischendurch immer wieder Ausblicke auf das Saguenay-Hinterland. Jedes Mal dachte ich: schöner kann es nicht werden – und fünf Minuten später war es noch schöner.

Natürlich wäre es keine echte Wanderung von uns, wenn wir uns nicht auf dem Rückweg „noch schnell“ einen zusätzlichen Gipfelsieg gönnen wollten. „Nur noch der eine Hügel da vorn.“ Ergebnis: steil, schlammig, und wie so oft die Frage: Sind wir noch auf dem Weg oder schon wieder im Busch? Mit Karte, Schweiß und Humor haben wir’s zurück geschafft.

Am Ende waren wir erledigt, aber glücklich. Und auch wenn es klingt wie eine kaputte Schallplatte in jedem Blogeintrag: der Indian Summer ist wirklich jeden Tag ein neues Erlebnis. Diese roten Ahornwälder, die gelben Birken, die dunklen Fichten dazwischen – man kann sich nicht sattsehen. Und vielleicht war das Verlaufen am Ende gar kein Fehler, sondern einfach nur ein Umweg durch eine noch schönere Farbpalette.






Zwischen Felswänden und Atemstößen – Belugas im Saguenayfjord

Von Tadoussac ins Landesinnere – auf der Spur der Belugas

 Wir wissen jetzt also, wo die besten Stellen zur Ausschau nach Belugawalen sind — also machten wir uns auf den Weg Richtung Saguenay. Vom St. Lorenz Strom schnitt sich ein tiefer Fjord fast 100 km ins Landesinnere. Auf einer wunderschönen Küstenstraße fuhren wir von Tadoussac hinein, das Fjord hoch, zwischen steilen Hängen, dunkelgrünem Wald und leuchtenden Farbtupfern des Herbstes. Schon die Fahrt ist spektakulär genug, die steilen Wände des der Saguenay-Fjords  ragen oft 300 bis 350 Meter hoch aus dem Tal empor. Er ist durch Gletscher in vergangener Eiszeit modelliert worden. Und immer wieder Indian Summer Postkartenmotive, dabei hatten wir kaum einen Blick für die Farbenpracht – wir wollten Wale sehen.


Online hatten wir sogar eine Meldung gesehen: Sichtung eines
Blauwales mit Bildern vom Vortag. Unser Jagdfieber war geweckt.

Am allerersten Beobachtungspunkt geschah es: Nach kaum 15 Minuten sahen wir von Uferseite aus in sicherer Entfernung eine Gruppe von Belugas ihre Bahnen ziehen. Weiß schimmernde im Sonnenlicht glitzernde Rückenfragmente, kleine Wasserfontänen beim Atmen. Ein magischer Moment.

Doch das Highlight kam noch: Bei einer Wanderung zum Observationsdeck des Saguenay-Fjord-Nationalparks tauchten die Belugas plötzlich in größerer Zahl auf — sie schwammen, tauchten, ruhten fast in der Nähe des Ufers, oft nahe genug, dass wir sie beobachten konnten.

Diese weißen Wale sind die wohl berühmtesten Bewohner des St.-Lorenz- und Saguenay-Gebiets. Ein ausgewachsener Beluga wird etwa drei bis viereinhalb Meter lang und kann bis zu anderthalb Tonnen wiegen. Sie haben keine Rückenflosse, sondern einen sanften Rückenbuckel – eine Anpassung, die ihnen das Schwimmen unter Eis oder in flachen Gewässern erleichtert. Belugas leben meist in Gruppen, sogenannten „Pods“, sind sehr kommunikativ und können bis zu 60 Jahre alt werden.




Dienstag, 23. September 2025

Sekunden des Staunens – Walbeobachtung am St.-Lorenz-Strom

 Nebel, Rückenflossen und Sekunden des Staunens

 Nach unserer knapp 90-minütigen Fährüberfahrt über den Sankt-Lorenz-Strom sind wir definitiv in Québec angekommen – und mittendrin im Walgebiet. Hier reiht sich ein Walbeobachtungs-Aussichtspunkt an den nächsten. Waltouren werden überall beworben. Und berühmt ist hier vor allem der weiße Belugawal. Er hat hier stabile Populationen, die in den Flussmündungen und im Mündungsgebiet des Saguenay und des St. Lawrence herumtauchen.

Für uns heisst das am Morgen - auf zu den Walen. 

Wie das mit den Walen so ist – sie sind Säugetierfische, also meist unter Wasser. Der erfolgreiche Beobachter braucht vor allem eines: Geduld. Also machten wir es uns auf den Küstenfelsen gemütlich,




Vor uns der breite Sankt-Lorenz-Strom, hinter uns der farbenbunte Küstenwald, der in allen Schattierungen von Gelb und Rot schon zaghafte Indian-Summer-Versprechen abgibt. Wir haben es uns auf den Küstenfelsen gemütlich gemacht, halb liegend, halb sitzend – eben so, wie man es tut, wenn man auf Wale wartet. Über dem Wasser wabert eine Nebelwand, die sich langsam Richtung Küste schiebt. Mal dichter, mal durchscheinender, wie ein Vorhang, der jede Minute neu arrangiert wird. Aus der Ferne dringt dumpf das Nebelhorn eines Schiffes zu uns herüber, gedämpft, geheimnisvoll. Ein akustischer Beweis, dass da draußen noch mehr unterwegs ist als nur Wale.

Und dann passiert es. Plötzlich bricht das Wasser auf. Eine Rückenflosse taucht auf, schneidet kurz die graue Fläche. Ein schwarzer Körper, vielleicht drei bis fünf Meter lang, wälzt sich einmal durch die Wellen – und schon ist alles vorbei. Sekundenbruchteile, die reichen, um Herzklopfen zu erzeugen. Für das Auge großartig, für die Kamera ein Desaster. Ein Foto? Keine Chance. Der Nichtprofi in Sachen Tierfotografie bleibt hier chancenlos.

Wir sind sicher: Es war ein Minkwal – 3 bis 5 m lang, schlank, schwarz-grau, die zweithäufigste Walart in der Region. Minkwale (oder Zwergwale) sind Zahnwale, die 30–50 min tauchen können und fast lautlos wieder auftauchen. Deshalb sieht man oft nur die Rückenflosse und einen kleinen Teil des Körpers, bevor sie wieder verschwinden. Im St. Lorenz-Strom kommen sie regelmäßig nahe an die Küste, auf der Suche nach kleinen Fischen wie Heringen und Sandaalen.

Wieder stilles Wasser. Nur Nebel, Wald, Felsen. Wir warten. Und wissen jetzt: Wer Wale sehen will, braucht Geduld – und vielleicht auch die Fähigkeit, diese flüchtigen Sekunden einfach ins Gedächtnis einzubrennen, statt sie auf die Speicherkarte bannen zu wollen.

Die Belugajagd lassen wir für den nächsten Tag. Dank eines Besuchs im sehr empfehlenswerten Walzentrum in Tadoussac kennen wir jetzt die besten Beobachtungsstellen für die Belugawalfotopirsch. 



Zeitzonenstress am Sankt-Lorenz: Wie wir fast die Fähre verpassten

 New Brunswick, Trois Pistoles und die Sache mit den drei Pistolen

Wir haben New Brunswick eigentlich nur durchfahren – zu viel Zeit blieb nicht, und ehrlich gesagt hätten wir vielleicht lieber noch ein bisschen angehalten, mehr Zeit für kleine Haltepunkte investiert, und vor allem: nach dem Magnetischen Berg gesucht. Aber dann kam unser Termin: eine lange, im Voraus gebuchte Fährpassage über den Sankt-Lorenz-Strom.




Unser Navi spuckte aus: Von Grand Falls bis zum Fährhafen in Trois Pistoles sind es etwa 2 Stunden. Die Fähre fährt um 13:30 ab. Weil man mindestens eine Stunde vorher da sein muss (ansonsten ist die Reservierung futsch), war klar: Start um ~ 10:30 – besser 10:00.

Im Auto sinnierten wir noch, warum „New Brunswick“ „New Brunswick“ heißt. Recherchieren wir also ein bisschen – und dann knirscht das Rad der Panik: Trois Pistoles liegt offenbar schon in Québec. Und: Québec hat eine andere Zeitzone. Vorher war alles Atlantic Time, hier ist’s Eastern Time. Also: Uhren zurück oder vor? Gewinnen wir eine Stunde oder verlieren? Stress macht sich breit.

Am Ende stellte sich heraus: Wir haben eine Stunde geschenkt bekommen. In Kanada kann’s solche Uhren-Rätsel geben.

Seit wir in Quebec sind, ist plötzlich alles französisch. Die zweisprachigen Straßenschilder, die englischen Ansagen – vergessen. Gespräche in Cafés oder beim Tanken: Französisch pur. Die Quebecer sind stolz auf die Sprache, und Englisch wird wirklich nur in wirklich touristischen Notfällen bemüht.

Wir haben in den letzten Wochen fleißig Französisch gelernt – okay, mehr schlecht als recht. Aber sobald man ein paar Wörter rausbekommt, klappt die Kommunikation überraschend gut. Ein „bonjour“, ein „merci“, ein stolz-zufriedenes Lächeln – dann klappt auch die Kommunikation mit dem Québécois  oder der Québécoise.

Und warum heißt New Brunswick nun so – und was steckt hinter Trois Pistoles?

  • New Brunswick bekam seinen Namen 1784 zu Ehren von König George III. Der war zugleich Herzog von Braunschweig-Lüneburg, einer Region in Deutschland, heute etwa das Gebiet um Braunschweig in Niedersachsen. Bleibt nur noch zu klären warum die Straßenschilder dann nicht auch in deutsch sind!

  • Trois Pistoles heißt wörtlich „Drei Pistolen“ – aber natürlich nicht, weil dort früher Revolvermänner unterwegs waren. Der Name geht zurück auf eine alte Geschichte: Ein Trinkbecher wurde einmal in den Sankt-Lorenz-Strom geworfen oder verloren; er war damals so viel wert wie drei Pistolen – „Pistole“ war eine alte Münzbezeichnung.

Sonntag, 21. September 2025

200 Kilometer durch das bunte Herz von New Brunswick

Im Farbenrausch nach Grand Falls 

Über Nacht hat sich mal wieder alles geändert. Als ob jemand riesige Farbtöpfe in Rot, Gelb und Orange über den grünen Wald ausgekippt hätte. Der Indian Summer – oder wie die Kanadier auch sagen, der Canadian Summer – ist nun endgültig da. Im Deutschen würde man es wohl „Altweibersommer“ nennen: diese warme, sonnige Wetterperiode im späten Herbst, die nach den ersten Frostnächten einsetzt und die Wälder in ein atemberaubendes Farbenmeer verwandelt.

Auch wenn mir meine einfachen Erklärungen zur Laubfärbung gefallen haben, ist es an der Zeit den komplexen Vorgang doch wissenschaftlich zu hinterfragen. Manchmal sind die einfachen Erklärungen schlichtweg nonsens. Siemenstöpfe, Windrader - alles Quatsch. Irgendwann muss die Wissenschaft ran. Und die sagt Folgendes:

  • Kurze Tage, kühle Nächte
    Der Baum merkt, dass der Winter kommt: die Tage werden kürzer (Photoperiode), die Nächte kühler. Das ist das Startsignal, das grüne Chlorophyll abzubauen.

  • Chlorophyll verschwindet
    Chlorophyll ist teuer in der Herstellung, also wird es enzymatisch zerlegt (Chlorophyllase nennt sich dieser Prozess) und die wertvollen Bestandteile wie Magnesium und Stickstoff wandern zurück in Stamm und Wurzeln – quasi die Wintervorratskammer.

  • Die Zweitbesetzung tritt auf
    Jetzt sieht man die Carotinoide – Pigmente, die immer da waren, aber vom Grün verdeckt wurden. Sie bringen die gelben und orangen Töne.

  • Und dann die Divas: Anthocyane
    Diese roten Pigmente entstehen erst im Herbst neu. Dafür braucht es viel Sonne am Tag und kalte Nächte. Zucker staut sich im Blatt, wird umgebaut – und fertig sind die roten bis purpurnen Anthocyane. Sie schützen die Blätter vor zu viel Licht und vor schädlichen Sauerstoffmolekülen. 

  • Braun zum Schluss
    Wenn gar nichts mehr übrig bleibt, übernehmen die Tannine das Zepter – dann wird’s braun, und das Blatt fällt.


Fazit:
Indian Summer ist kein Zauber, kein Mondphänomen und auch kein Windradsog. Es ist Biochemie pur: Chlorophyll weg, Carotinoide sichtbar, Anthocyane frisch gebildet.
Oder einfacher: Sonne + kalte Nächte = Farbenexplosion. Und nun ist gut damit!

Heute haben wir New Brunswick von Ost nach West durchquert – vom Atlantik bis an die Grenze zu den USA, wo New Brunswick und Maine aufeinandertreffen. 200 Kilometer auf der schnurgeraden Straße 108, Höchstgeschwindigkeit 80 km/h. Mehr will man auch gar nicht, denn jeder Kilometer ist ein Fest für die Augen. Links und rechts der Straße reiht sich ein Farbenrausch an den nächsten, und der Blick verliert sich in einer Laubpracht, wie wir sie nie für möglich gehalten hätten. Diesmal übertreiben die Reiseprospekte nicht, die mit diesen Bildern nach Kanada locken – sie untertreiben. Und wenn am Straßenrand Elche gestanden hätten, wir hätten sie glatt übersehen, so sehr waren wir gefesselt vom Schauspiel der Natur.


Unser Tagesziel: Grand Falls. Der Ort trägt seinen Namen nicht zufällig. Hier hat der Saint John River, einer der längsten Flüsse Kanadas, eine tiefe und pittoreske Schlucht in den Fels geschnitten. Auf einer Breite von fast 70 Metern stürzt er in mehreren Stufen über rund 23 Meter in die Tiefe. Im Frühjahr zur Schneeschmelze ist die Wassermenge gigantisch – man sagt, dann donnern mehr als 90 Millionen Liter pro Minute durch die Schlucht. Kein Wunder, dass die Menschen den Ort schon früh ehrfürchtig „Grand Falls“ tauften.

Heute ist die Kraft des Flusses gebändigt – direkt am Hauptfall wurde ein Staudamm errichtet, der Strom produziert. Unser Motel liegt praktischerweise genau hier, mit Blick auf den Damm und die Fälle. Vom sehr gut ausgestatteten Informationszentrum starten mehrere Wanderwege. Über unzählige Treppenstufen geht es hinunter bis fast in die Schlucht hinein.



Vom Bonjour begrüßt – und vom Herbst überrascht

Zweisprachig, frostig, farbenfroh

 Wir haben Nova Scotia hinter uns gelassen und sind nun in einem neuen Bundesstaat: New Brunswick. Schon wenige Kilometer nach der Grenze merkt man, dass sich etwas verändert. Die Landschaft bleibt kanadisch weit, mit Wäldern, Seen und Flüssen – aber die Atmosphäre kippt.

Hier ist Kanada zweisprachig. Die Straßenschilder tragen plötzlich alles doppelt – Englisch und Französisch. Wo man eben noch freundlich mit Hello begrüßt wurde, heißt es nun Bonjour! – und das nicht als touristische Floskel, sondern als selbstverständliche Alltagssprache.

Man spürt sofort, dass New Brunswick die Brücke ist zwischen den anglophonen und frankophonen Kulturen Kanadas. Die Orte tragen oft französische Namen, die Supermärkte beschriften ihre Angebote zweisprachig, selbst die Tankstellen haben Bedienungsanleitungen auf Englisch und Französisch.

Die zweite Überraschung: das Wetter. Tagsüber strahlt noch die Sonne und man denkt an Spätsommer. Doch kaum verschwindet sie hinter den Hügeln, wird es empfindlich frisch – nachts gerade einmal 2 bis 4 °C. Zum Glück müssen wir nicht mehr zelten.

Die Kälte scheint allerdings ein Künstler zu sein: Sie mischt mit am großen Werk der Laubfärbung. Ganz langsam beginnt sich das Grün in spektakuläre Rot-, Gelb- und Orangetöne zu verwandeln. Für Autofahrer eine echte Herausforderung – man möchte an jeder bunten Baumgruppe halten, Kamera zücken, festhalten. Doch das Gefühl sagt: das Beste kommt erst noch.


Und während ich mich schon durch alle wissenschaftlichen Erklärungen über Chlorophyll, Carotinoide und Anthocyane gelesen habe, kam gestern die große Enthüllung: In einem Waldstück entdeckte ich eine ganze Reihe von Bäumen mit Schlauchanschlüssen – ganz offensichtlich zur Injektion der roten Farbe! Ob das der kanadische Herbst-Geheimtrick ist? Ich bleibe dran und werde die Beweisführung in den nächsten Tagen fortsetzen.


Für die nächsten zwei Tage stand die Durchquerung von New Brunswick auf unserem Plan – Ziel: der Sankt-Lorenzstrom. Als erstes Etappenziel wählten wir Miramichi, ein mittelgroßes kanadisches Städtchen an der Ostküste.

Dort gönnten wir uns eine kleine, aber nicht unwichtige Reise-Luxusaktion: Wäschewaschen im Hotel. Nach zwei Stunden Trocknergebrumm hatten wir endlich wieder frische Kleidung für die kommenden zwei Wochen – ein Gefühl fast so befreiend wie ein Bad im Atlantik.

Auf den Weg nach Miramichi legten wir noch 2 Zwischenstops ein. Die Reiseführer hatten uns schon neugierig gemacht: Magnetic Hill in Moncton, eine der bekanntesten Kuriositäten Kanadas. Natürlich wollte ich als Freund aller seltsamen Phänomene diesen Ort mit eigenen Augen sehen.

Hier soll das Auto angeblich bergauf rollen, wenn man es in den Leerlauf stellt. In Wahrheit handelt es sich um eine klassische optische Täuschung: die Landschaft, fehlender Horizont und die Straßenführung gaukeln dem Gehirn einen Anstieg vor, obwohl die Strecke tatsächlich leicht bergab geht.

Seit Jahrzehnten pilgern Touristen hierher, um sich von der Illusion täuschen zu lassen. Nur wir nicht – denn es ist uns schlicht nicht gelungen, den richtigen Eingang zum Vergnügungspark zu finden, geschweige denn ein Kassenhäuschen. So blieb es bei einem Schulterzucken und der Erkenntnis: auch das Scheitern gehört zum Reisen dazu.

Der zweite Stopp war weitaus erfolgreicher: der Kouchibouguac National Park, nördlich von Moncton an der Ostküste. Der Name klingt kompliziert, aber der Park selbst ist einladend und abwechslungsreich.


Hier trifft man auf warme Sandstrände, Marschland, Wälder und Flussläufe – eine ganze Miniaturwelt Kanadas auf engem Raum. Auf den Holzstegen durch die Sümpfe wehte uns Salzluft entgegen, während wir auf kurzen Wanderungen Vogelgezwitscher, feuchte Erde und das wechselnde Licht zwischen Wolken und Sonne genossen.

Es waren keine großen Touren, eher kleine Erkundungsschleifen – aber gerade das machte sie perfekt, um zwischendurch nach langer Autofahrt tief durchzuatmen.

Freitag, 19. September 2025

Rodeo oder nicht Rodeo in Truro

🐂 Stampede auf den Bible Hills – unser Rodeo-Erlebnis 

Überall in Truro hingen Plakate, Radioansagen riefen dazu auf, und selbst am Supermarkt warb man für „Stampede 2025 auf den Bible Hills“ – ein Festival, das Musik, Rodeo und typisch kanadisches Western-Flair vereint. Wenn man schon mal da ist, dachten wir, darf man sich so ein Spektakel nicht entgehen lassen.

Also machten wir uns auf den Weg zum Festivalgelände. Überraschung: Wir fanden sogar einen Parkplatz! Schon beim Aussteigen fühlte man, dass man in eine andere Welt eintauchte – in eine Mischung aus Westernfilm und Countrymusikvideo. Überall Menschen mit Cowboyhüten, Stiefeln, Lederwesten. Für uns als unvorbereitete Besucher war es ein eigentümliches, fast surreal wirkendes Erlebnis.


Ein Rodeo selbst ist eine eigenwillige Mischung aus Sport, Show und Tradition. Man spürt sofort, dass hier viel Stolz und Herzblut drinsteckt. Da wird auf wilden Stieren geritten, acht Sekunden, die wie eine Ewigkeit aussehen. Pferde mit voller Kraft bocken, während Reiter versuchen, Haltung und Würde zu bewahren. Dazu schnelle Lasso-Wettbewerbe, bei denen Kälber eingefangen werden müssen – alles mit einer Präzision, die zeigt, dass hier Profis am Werk sind. Und das Publikum johlt, fiebert mit, feuert die Reiter an – eine Mischung aus Adrenalin und Volksfeststimmung. All das hätten wir erleben können.


Nur – wir kamen leider nicht rein. Karten gab es ausschließlich im Vorverkauf, und natürlich waren die längst vergriffen. Eine spontane Teilnahme als Rodeoreiter kam ebenfalls nicht infrage: angeblich muss man mindestens zehn Tage in Kanada sein, um eine Lizenz zu bekommen – irgendeine Quarantänebestimmung für Neulinge, so erklärten es uns lachend ein paar Einheimische.


Der Versuch, sich „inoffiziell“ über den Zaun Zutritt zu verschaffen, scheiterte an einer Mischung aus kanadischer Ordnung und unserer mangelnden Kletterpraxis.


 Also blieb uns nur das Festival-Feeling von außen. Aber auch das hatte seinen Reiz: Eine endlose Reihe an Verkaufsständen, eine „Fressmeile“ mit allem, was das Rind hergibt – von Burgern bis zu zartem Steak. Ich durfte sogar eine kleine Beefverkostung mitmachen.

So endete unser Stampede-Besuch ohne Rodeo-Arena, aber mit vielen Eindrücken und dem festen Entschluss: Nächstes Mal melden wir uns rechtzeitig an – dann klappt’s bestimmt auch mit den wilden Bullen.

Bay of Fundy und die Superwelle

Truro – wenn der Fluss plötzlich rückwärts fließt

Die Autofahrt vom Brenton Nationalpark zurück in die Halifax Region verlief dank gut ausgebauten Straßen seht entspannt. Unser Ziel für die nächsten 2 Tage ist Truro. Obwohl wir schon 1600 km gefahren sind und so richtig vorangekommen sind wir noch nicht. 
Glaubt man den Reiseführern, wartet in Truro ein weiteres einzigartiges Naturerlebnis. Und tatsächlich: Hier, am Salmon River, kann man Zeuge eines echten Weltwunders werden – dem Tidal Bore. 

Wir standen am Ufer, zuerst noch etwas skeptisch. Der Fluss plätscherte harmlos dahin, ein paar Enten dümpelten auf dem Wasser. Doch dann passierte das, wovon alle schreiben: In der Ferne tauchte eine Welle auf, wie aus dem Nichts. Sie rollte gegen die Strömung an, schob das Wasser zurück – und plötzlich floss der ganze Fluss in die „falsche“ Richtung.
Das Spektakel dauert nur wenige Minuten, aber es ist gewaltig. Man hört ein dumpfes Rauschen, das Ufer wird rasch überschwemmt, und die Enten blicken etwas verdutzt, bevor sie sich von der Welle mitnehmen lassen. Es ist eines jener Naturereignisse, die man nur schwer beschreiben kann – man muss es erlebt haben.

Der Grund dafür liegt in der Bay of Fundy, die mit ihrem Tidenhub von bis zu 16 Metern die höchsten Gezeiten der Welt hat. Zweimal am Tag drückt das Meer das Wasser hier flussaufwärts, und wer Glück hat, sieht eine richtige kleine „Gezeitenwelle“, die den Fluss umkehrt.

Nach wir das mit der Flutwelle gesehen hatten, wollten wir endlich dem Phänomen der Laubfärbung näher kommen. Im Victoriapark in Truro fanden wir seltsam gefärbte Ahornblätter, die eindeutig aus diesem Jahr stammen.
 Sie sind Ergebnisse von Versuchen, die Laubfärbung zu beeinflussen. Die Methode stammt aus China, wo ein kanadisches Dorf für touristische Zwecke nachgebaut wurde. In Kanada versucht man die für die Tourismusindustrie sehr wichtige Saison des Indian Summer auszudehnen um schon im Juni und Juli, der Hauptferienzeit, mit rotverfärbte Wäldern zu glänzen. Die Lösung steckt in der Chemie. Ein Parkmitarbeiter hat uns das alles erklärt. Bevor die Blatttriebe zu sprießen beginnen, kann man ab 1. April versuchen den für die Rotfärbung verantwortlichen Farbstoff, der sich normalerweise erst im Herbst bildet, durch einen chemischen Ersatzstoff zu ersetzen. Zum Einsatzkommt vernebeltes Eosin. 
Mit sogenannten Siemenstöpfen (korrekt Ionisationssprühnebler) werden ab ersten April jeden Jahres gewaltige Mengen des Farbstoffs Eosin elektrostatisch in Parks mit Ahornbäumen vernebelt. 
Die Farbstoffmoleküle sind dem natürlich im Ahornblatt vorkommenden Farbpigmenten chemisch sehr ähnlich und verdrängen diesen im Wachstumsprozess. Im Ergebniss kann man schon ab Ende Mai bis zum normalen Farbwechsel im Hebst mit rotverfärbten Blättern glänzen. Das Verfahren ist nicht unumstritten, verbraucht es doch gigantische Mengen an Elektroenergie, weswegen es auch nur im kommunalen Parks größerer Städte zum Einsatz kommen kann. Für die riesigen Waldflächen im Hinterland soll es andere Methoden geben. Auch überzeugt dieses Färbeverfahren nicht vollständig. Fehldosierungen führen schnell zu unnatürlich wirkenden tiefroten, braunen oder bunten Blättern. 

Mittwoch, 17. September 2025

Skyline Trail - and eine Wanderung der Superlative.

Skyline-Wanderung: atemberaubend & majestätisch

Wenn man sich in der Besucherinformation des Nationalparks nach Aktivitäten im Cape Breton Highlands erkundigt, bekommt man meistens zwei Informationen: Erstens, man muss die Skyline-Wanderung laufen. Und zweitens, man sollte sie keinesfalls zu den Stoßzeiten unternehmen. Besser vor 8:00 Uhr morgens oder nach 17:00 Uhr abends sein am Parkplatz. Denn sobald eine bestimmte Anzahl Autos da sind, wird der Parkplatz knallhart geschlossen, und man wird gnadenlos an der Attraktion vorbeigeleitet – kein Anhalten, kein Warten. Entlang der kurvigen Küstenstraße sieht man große Leuchttafeln, die warnen: Wer nicht rechtzeitig kommt, darf gar nicht erst anhalten. „Geschlossen heißt geschlossen“ – und zwar solange, bis genug Leute weggefahren sind.

Der normale Tourist steht da unter Druck: Früh aufstehen? Auf Frühstück verzichten? Oder sich gleich ein Plan B überlegen? Uns war’s egal. Wir hatten einen Plan B mit ein paar anderen Wanderungen im Kopf und sind entspannt um 10:00 Uhr von unserem Hotel in Chéticamp die etwa 21 km zur Skyline Trail hochgefahren – über die Superküstenstraße, Kurve um Kurve. Schließlich war doch Nachsaison – und siehe da: eine intelligente Entscheidung. Der Parkplatz war nur zu etwa drei Vierteln voll, und wir brauchten keinen Alternativplan. Skyline-Wanderung – wir kommen.

Die Skyline Trail liegt im Cape Breton Highlands National Park und ist eine der berühmtesten Wanderungen auf dem Cabot Trail. 

Daten & Fakten:

  • Länge: etwa 8,2 km, wenn man die komplette Schleife läuft. 

  • Dauer: etwa 2-4 Stunden, je nach Tempo, Pausen und Fotostops. 

  • Höhenlage: zwischen ca. 290 und 405 Metern. 

  • Schwierigkeit: Leicht bis moderat – keine extremen Steigungen, der Weg ist gut gepflegt. Der erste Teil angenehm durch Wald, später offeneres Gelände. 

Der Weg beginnt in Wäldern, dunkler Vegetation, Baumkronen über dir, Vogelrufe, Moose, feuchter Boden. Nach und nach lichtet sich das Gebiet, man steigt hinaus aufs Hochplateau. Am Ende der Route erreicht man das berühmte Headland Cliff – eine steile Klippe, die dramatisch über dem Meer hängt. Von hier aus sieht man die Cabot Trail Straße unter sich wie ein Band, Fahrzeuge wie Spielzeuge, das Meer weit draußen. Aussichtspunkte, ein hölzerner Boardwalk und Treppen führen bis an den Rand, wo man das Gefühl bekommt: Hier trifft das Ende der Welt auf den Beginn des Ozeans.





Am Ende war es für uns nicht nur eine Wanderung, sondern ein Erlebnis, das man lange im Kopf behalten wird: die Mischung aus schroffer Küste, endlosem Blick aufs Meer, dem Gefühl von Höhe und Freiheit – und der Erkenntnis, wie stark Natur, Planung und Geduld zusammenspielen. Nachtwanderung? Frühstück später? Nein einfach machen. 

Am Nachmittag war dann noch genug Zeit einige kleinere Walks im Nationalpark zu unternehmen. 1 Tag ist definitiv zu wenig, über 25 Trails warten hier auf den mehr oder weniger ambitionierten Wanderer, von der kleinen 500 m Schleife um einen einsamen See mit fleischfressenden Pflanzen über dunkle 350 Jahre alte Ahornwälder bis zum 5 h Adventure ins Hochland. Oder einfach nur Wale und Weisskopfseeadler gucken in den Sonnenuntergang. Bei soviel Natur vergisst man glatt die Laubfärbung.






Vier Wochen Kanada – und kein Tag wie der andere – ein Reiserückblick

Am Strom der Erinnerungen Wir sitzen am Ufer des St. Lorenzstroms, Montreal liegt hinter uns, und wir versuchen, die letzten vier Wochen Kan...