Sonntag, 5. Oktober 2025

Vier Wochen Kanada – und kein Tag wie der andere – ein Reiserückblick

Am Strom der Erinnerungen

Wir sitzen am Ufer des St. Lorenzstroms, Montreal liegt hinter uns, und wir versuchen, die letzten vier Wochen Kanada noch einmal Revue passieren zu lassen. Begonnen hat alles am Atlantik – in Nova Scotia, wo die Küstenlinie endlos schien und die bunten Holzhäuser von Lunenburg uns wie aus einem Gemälde entgegengrüßten. Peggy’s Cove, die windgegerbten Felsen, der Geruch von Salz und Tang – hier begann unser Abenteuer. Dann folgte die Runde über Cape Breton Island, wo sich der Herbst von seiner prächtigsten Seite zeigte: rote, gelbe und orangefarbene Wälder, als hätte jemand Farbe über die Hügel gegossen.
Über New Brunswick fuhren wir weiter westwärts, durch weite Wälder, entlang des Sankt-Lorenz-Arms und auf der „108“ durch Landschaften, die uns den Atem raubten. Der Indian Summer war überall – warmes Licht, klare Luft, und das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

In Québec setzten sich die Eindrücke fort: die gewaltigen Wasserfälle von Sainte-Anne und Montmorency, die Hängebrücken, das Donnern des Wassers, das einem Demut beibringt. In Saguenay dann die Stille des Fjords und die weißen Belugas, die wie leuchtende Schatten durchs Wasser glitten. Auf der Île aux Coudres radelten wir zwischen Apfelgärten und Wind, Fähre und Fluss, und verstanden, warum die Kanadier ihr Land so lieben.

Der Parc Jacques-Cartier forderte uns schließlich heraus – steile Anstiege, müde Beine, aber Ausblicke, die man nicht vergisst. Und am Lac Taureau wurde es ganz still: Die Saison war vorbei, Wege gesperrt, Restaurants geschlossen, aber genau das machte den Zauber dieses Ortes aus. Abends saßen wir am Wasser, sahen Polarlichter tanzen und wussten, dass dieser Moment bleibt.

Und nun, hier am St. Lorenzstrom, spüren wir den Übergang: zurück in die Stadt, in den Lärm, in den Alltag. Kanada war wieder alles zugleich – wild und sanft, laut und still, rau und herzlich. Kein Urlaub zum Abschalten, sondern einer zum Aufatmen. Und während über dem Wasser die Sonne noch mal alles gibt, es sollen heute am 5. Oktober nochmal 30 C werden, wissen wir:

Wir kommen wieder – vielleicht nicht bald, aber ganz sicher mit Sehnsucht im Gepäck.

Montréal – wo die Reise ihren Gipfel findet

Mont Royal – Der Berg, der der Stadt den Namen gab

Unser letzter voller Tag in Kanada gehörte Montréal – der größten Stadt der Provinz Québec, und vielleicht der vielseitigsten, die wir auf dieser Reise erlebt haben. Nach Wochen zwischen Seen, Fjorden und Wäldern fühlte sich der Schritt zurück in die Großstadt fast wie ein Kulturschock an. Hochhäuser statt Tannen, hupende Autos statt rauschender Bäume – aber nach kurzer Zeit hatten wir wieder unseren Rhythmus gefunden.

Wir bummelten durch die Straßen des Zentrums, vorbei an Straßencafés, Boutiquen und einer erstaunlich internationalen Mischung aus Gesichtern und Sprachen. Montréal ist eben typisch Québec und doch ganz anders: französisch im Klang, nordamerikanisch im Takt.

Unser erster Halt war die Basilique Notre-Dame, die mit ihrem tiefblauen Innenraum und vergoldeten Schnitzereien jeden Besucher für einen Moment sprachlos macht. Wenn man davor steht, hat man das Gefühl, in eine Kathedrale aus Licht einzutreten. Drinnen erzählen bunte Glasfenster die Geschichte der Stadt, von ihren französischen Gründern bis zu modernen Zeiten.
Danach zog es uns nach oben – auf den Mont Royal, den kleinen Hausberg, der der Stadt ihren Namen gab. Als Jacques Cartier im Jahr 1535 mit seinen Männern den Hügel bestieg, soll er ausgerufen haben: „Mont Réal“ – der königliche Berg. Aus „Mont Réal“ wurde im Laufe der Jahrhunderte „Montréal“, und der Name blieb, auch wenn der Berg selbst recht bescheiden wirkt. Von oben bietet sich heute dennoch ein majestätischer Blick auf die Skyline, den Sankt-Lorenz-Strom und das weite Land dahinter.

Oben am Aussichtspunkt standen wir eine Weile still und sahen hinunter auf die Stadt, die sich unter uns ausbreitete – pulsierend, lebendig, irgendwie vertraut. Unten fuhren Fahrräder, Busse und Menschen im immer gleichen Takt, während wir oben auf dem Hügel standen, der einst einem Seefahrer den Namen für eine ganze Stadt geschenkt hatte.

Freitag, 3. Oktober 2025

Letzter Halt: Metropole

Die Zivilisation hst uns wieder. 
Nach Tagen in der Abgeschiedenheit des Lac Taureau verließen wir unsere Resortanlage – entspannt, erholt und mit einem Rucksack voller Eindrücke. Die Fahrt nach Montreal verlief zunächst ruhig. Rund 200 Kilometer lagen vor uns, auf Landstraßen, die sich durch Wälder und kleine Dörfer schlängelten.

Doch dann, fast schlagartig, änderte sich das Bild. Statt stiller Seen und leerer Wege empfingen uns die endlosen Betonbänder der Stadtautobahnen. Sechs Spuren nebeneinander, dicht gefüllt mit Autos, die sich Stoßstange an Stoßstange bewegten. Staus, Stop-and-Go, rote Ampeln, Warten – all das, was man auf dem Land schon beinahe vergessen hatte, war plötzlich zurück.
Heute war auch der Tag des Abschieds von unserem treuen Begleiter auf vier Rädern. Unser Mietwagen, der uns zuverlässig über Schlaglöcher, einsame Landstraßen und durch alle Abenteuer getragen hatte, musste am Nachmittag zurück zum Flughafen. Ein letzter Blick, ein paar Sachen aus dem Kofferraum geräumt – und schon war die Reisegesellschaft wieder um ein Mitglied kleiner.

Wir quartierten uns in einem Hotel direkt neben dem Flughafen ein. Der Blick aus dem Fenster war diesmal nicht auf Wälder, Seen oder Nordlichter gerichtet, sondern auf Rollfelder, Tower und startende Maschinen. Ein kleiner Kulturschock – aber auch ein Zeichen, dass die Reise langsam ihr Ende findet.
Doch ganz vorbei ist es noch nicht: Ein Tag in Montreal liegt noch vor uns. Eine letzte Gelegenheit, die Stadt mit ihren Straßen, Cafés und Parks zu erleben, bevor es endgültig heißt: „Au revoir, Kanada.“

Indian Summer trifft Nordlicht

Kanada schenkt uns goldene Tage
Zum Wochenende hin veränderte sich die Atmosphäre im Resort spürbar. Wo zuvor Stille und Einsamkeit geherrscht hatten, füllte sich die Anlage nun langsam mit Leben. Ob es am bevorstehenden großen Ereignis lag oder einfach an der Lust der Städter aus Montreal, das Wochenende noch einmal in den Wäldern und am See zu verbringen – schwer zu sagen. 
Für uns war das allerdings kein Grund zur Klage. Im Gegenteil – wir nutzten den wunderbar milden Herbsttag, um uns selbst noch einmal ins Wasser zu stürzen. Erst zog es uns in den Pool des Resorts, doch die eigentliche Krönung war das Bad im See. Das klare Wasser des Lac Taureau war kühl, frisch und belebend.
Wenn ich an diesen Urlaub zurückdenke, dann gehört unser Wetterglück definitiv zu den Dingen, die den Aufenthalt unvergesslich gemacht haben. Kanada im Herbst, das bedeutet nicht nur die berühmten Laubverfärbungen in allen Schattierungen von Rot, Gelb und Orange, sondern auch eine Jahreszeit, die immer wieder für Überraschungen gut ist.
Wir haben genau diese Phase erwischt, die man hier den „Indian Summer“ nennt – eine kurze Zeit im Herbst, in der sich der Sommer noch einmal zurückmeldet. Tagsüber war es angenehm warm, die Sonne ließ die Wälder in voller Pracht leuchten, und abends kühlte es gerade so weit ab, dass man sich mit einer Decke oder einem Pullover an den See setzen konnte.
Natürlich gab es auch kühle Morgen, an denen der Atem wie feiner Nebel in der Luft stand. Doch genau das machte den Reiz aus: die Mischung aus milder Wärme und klarer Frische. Kein Regen, keine graue Dauerbewölkung, sondern fast jeden Tag ein Himmel, der so blau war, als hätte ihn jemand frisch aus dem Farbkasten geholt.
Kurz gesagt: Wir hatten wieder einmal richtig Glück mit dem Wetter.

Wir waren gerade dabei uns nach dem kühlen Bad im See von der Sonne trocknen zu lassen, um da trat plötzlich eine junge Frau in Erscheinung – eine der Animateurinnen des Resorts, mit Kreide und Tafel bewaffnet. Mit schwungvollen Zügen schrieb sie in großen Lettern die Tagesneuigkeit auf:

Soweit reichten unsere rudimentären Französischkenntnisse schon:
„Heute Abend ab 23 Uhr: Nordlichter.“
Polarlichter – das war doch eigentlich eine Attraktion des hohen Nordens, von Alaska, Lappland oder Island. Und nun, mitten in Quebec, am Lac Taureau, sollten wir Zeuge dieses Schauspiels werden? Für unsere letzte Polarlichtjagd sind wir mal extra nach Island geflogen - und sollten wir hier nun wirklich dieses Naturschauspiel serviert bekommen? 
Und so standen wir pünktlich 23:00 Uhr dort – und warteten. Aus unserer Walbeobachtung wussten wir ja - das Geduld der Schlüssel allen Erfolges ist. Der See lag spiegelglatt vor uns, der Himmel wolkenlos. Jede Minute schien länger zu dauern als die vorherige. Es war, als hätte die Natur selbst den Vorhang in die Höhe gezogen – bereit für ein Schauspiel, das man sein Leben lang nicht vergisst. 
Und dann, fast unmerklich, begann es. Zunächst war da nur ein matter Schimmer am nördlichen Horizont, kaum heller als eine Wolke im Mondlicht. Manche tuschelten schon, das sei wohl nichts, nur eine Einbildung. Doch nach einigen Minuten breitete sich das Licht weiter aus – wie ein milchgrüner Schleier, der langsam über den Himmel zog.
Es war kein dramatisches Feuerwerk, wie man es von Postkarten aus Island kennt. Kein wildes Tänzeln in allen Regenbogenfarben. Hier am Lac Taureau wirkte es stiller, verhaltener, beinahe scheu. Ein leises Glühen, das sich bewegte wie ein Atemzug. Mal wurde der Schleier dichter, mal löste er sich wieder auf, als wolle er mit uns spielen.
So standen wir lange da, fröstelnd, mit hochgereckten Köpfen. Und irgendwann merkte man, dass die eigentliche Magie nicht in der Intensität lag, sondern darin, Zeuge zu sein. Nordlichter – in Kanada, Anfang Oktober. Ein Moment, der so unscheinbar begann, dass man ihn fast hätte übersehen können. 

Donnerstag, 2. Oktober 2025

Wo die Biber Burgen bauen

Einsamkeit, Jagdsaison und ein bisschen Abenteuer
Wir waren nun wohl wirklich in der touristischen Nachsaison angekommen – und das machte sich sofort bemerkbar. Die Vorteile lagen auf der Hand: man war völlig allein, konnte den See, die Stille, die Wälder ganz für sich genießen. In unserer Resortanlage, in der wir die nächsten Tage wohnen sollten, begegnete man kaum einer Menschenseele. Kein Stimmengewirr, kein Kindergeschrei, keine Reisegruppen. Nur wir und der Lac Taureau.

Doch natürlich hatte die Nachsaison auch ihre Schattenseiten. Die touristische Infrastruktur verabschiedete sich gerade in den Winterschlaf. Der 1.Oktober scheint ein markantes Datum zu sein. Als wir am Dienstag eintrafen, eröffnete man uns freundlich, aber bestimmt, dass beide Gaststätten der Anlage bis Freitag geschlossen bleiben würden. Also blieb uns nichts anderes übrig, als zurück in den nächsten Ort zu fahren – rund 15 Kilometer entfernt – um uns dort mit Lebensmitteln für Frühstück und Abendessen einzudecken. Improvisation gehörte eben dazu, und genau das machte das Ganze ja auch zu einem kleinen Abenteuer.

Der nächste Morgen begann dann so, wie man ihn sich in Kanada kaum schöner wünschen konnte: mit einer Joggingrunde am kühlen Ufer des Lac Taureau. Nebelschwaden hingen noch über dem Wasser, die Sonne kämpfte sich vorsichtig durch die Baumwipfel, und jeder Atemzug war so frisch, dass man das Gefühl hatte, ihn in Flaschen abfüllen und mit nach Hause nehmen zu können.

Doch was macht man mit so viel Einsamkeit? Richtig – wandern! Also fragten wir an der Rezeption nach geeigneten Strecken. Die Antwort war ernüchternd: Nur wenige Wanderwege seien derzeit begehbar. Denn die Jagdsaison hatte begonnen, und der Nationalpark Lac Taureau war zum größten Teil gesperrt. Flatterbänder in grellem Orange, machten unmissverständlich klar: „Betreten verboten – Lebensgefahr!“

Aber mal ehrlich: Was wäre ein Abenteuer ohne zumindest einen kleinen Schuss Risiko? Und weit und breit waren keine Jäger zu hören. Wahrscheinlich hielten die gerade in unseren Resort das Jahrestreffen und verteilten die Abschusslizenzen für Hirsch und Bär. Also bogen wir kurzerhand in einen scheinbar harmlosen Waldweg ab. Schon nach wenigen Minuten wartete die erste Überraschung: eine Biberburg. Riesige Holzstämme, kunstvoll verbaut, ragten aus dem Wasser. Und als wir genauer hinsahen, erkannten wir, wie die fleißigen Architekten des Waldes durchs Wasser zogen und ihre Festung bewachten.


Ein eigentümliches Gefühl stellte sich ein, als wir merkten, dass der Weg direkt unterhalb des angestauten Wassers entlangführte. Nur ein halber Meter trennte uns von dem kleinen See, den die Biber mit ihrem Bau aufgestaut hatten. Über uns platschten und planschten die Tiere, während wir uns leise fragten, ob dieses Naturbauwerk wohl wirklich so dicht hielt, wie es aussah. Und was passiert wenn der niedliche Biber sich gestört fühlt und den Stepsel zieht? Bedrückend – aber auch faszinierend.
Wie so oft bei unseren Ausflügen blieb es natürlich nicht beim Plan. Der ausgeschilderte Rundweg sollte gemütliche 3,7 Kilometer umfassen – ein kleiner Spaziergang also, ideal für den Nachmittag. Doch irgendwo zwischen Biberburg, gesperrten Pfaden und spontanen Abzweigungen verloren wir die Orientierung. Aus dem „kleinen Hike“ wurde ein ausgewachsener Marsch: 15 Kilometer quer durch den Wald, stolze vier Stunden lang.

Aber trotz müder Beine und einer gewissen Skepsis, ob wir jemals wieder zur Anlage zurückfinden würden, hat es sich gelohnt. Jeder Umweg bescherte uns neue Ausblicke: stille Waldlichtungen, in denen das Sonnenlicht wie goldener Staub zwischen den Bäumen flirte und sogar Pilze. Am Ende kamen wir erschöpft, hungrig (aber wir hatten ja Pilze gefunden) – und ein klein wenig stolz – wieder zurück. Und einmal mehr stellte sich heraus: die schönsten Geschichten entstehen nie auf der geplanten Route.

Mittwoch, 1. Oktober 2025

Vom Zuckerflash ins wilde Hinterland

Der süße Rausch vor der Stille
Unsere Fahrt vom Sankt-Lorenz-Strom ins Hinterland wurde noch einmal unterbrochen – von einer Station, die man wohl ohne schlechtes Gewissen als „touristische Dröhnung“ bezeichnen darf: Chez Daniel in Trois-Rivières.

Eigentlich hatten wir mit einem schlichten Hofladen für Ahornprodukte gerechnet. Stattdessen fanden wir uns in einem halben Erlebnispark wieder. Neben dem obligatorischen Shop, in dem Sirupflaschen in allen Formen und Größen glänzten, gab es hier auch einen riesigen Speisesaal, der aussah wie eine Mischung aus Festzelt und Oktoberfesthalle. Lange Holztische, Bänke, Musik – und mittendrin mehrere chinesische Reisegruppen, die sich lautstark und begeistert in kanadische „Kultur“ einprobierten. Ein kurioses Schauspiel: Lederhosen-Atmosphäre am Sankt-Lorenz-Strom.

Doch was uns am meisten faszinierte, war nicht das Spektakel im Saal, sondern eine kleine Köstlichkeit draußen am Stand: frisch gekühltes Ahornsirup-Eis. Der dickflüssige Sirup wurde auf eiskaltem Schnee oder einer Eisplatte ausgegossen, mit einem Holzstäbchen eingerollt – und fertig war eine süß-klebrige Leckerei, die man direkt löffeln konnte. Einfach, überraschend und unglaublich lecker.

Mit diesem Zuckerflash im Bauch und einem breiten Grinsen im Gesicht machten wir uns dann endgültig auf ins Hinterland. Je weiter wir uns vom Sankt-Lorenz-Strom entfernten, desto einsamer wurden die Straßen. Der Asphalt wurde stellenweise rauer, and wechselte in Staubpisten, Schlaglöcher tauchten plötzlich auf, und unser kleines Mietauto – ausgestattet mit Vierradantrieb – durfte endlich beweisen, dass es mehr war als nur ein Stadtflitzer.

Die Landschaft veränderte sich merklich: Dichte Wälder rückten näher an die Straße und kleine Seen blitzten zwischen den Bäumen auf. Der Verkehr? Fehlanzeige. Stundenlang begegnete uns kaum ein anderes Fahrzeug – ein ungewohntes, fast befreiendes Gefühl nach den dicht gedrängten Metropolenstraßen von Quebec.

Nach rund zwei Stunden Fahrt erreichten wir schließlich unser Ziel: den Lac Taureau
, rund 150 Kilometer hinter Montreal. Dort lag, wie aus dem Bilderbuch entsprungen, eine kleine Anlage direkt am Seeufer – abgeschieden, umgeben von Wald, mit einem atemberaubenden Blick über das spiegelglatte Wasser. Nur das leise Plätschern der Wellen gegen den Steg und das Rufen der Seetaucher durchbrachen die Stille. Ein Ort, der sofort erkennen ließ, warum man Kanada das Land der tausend Seen nennt.


Montag, 29. September 2025

Stadtautobahn gegen Bergpfad – Québecs zwei Gesichter

Asphalt, Adrenalin und Ahornwälder: der Weg zum Jacques-Cartier-Park

 Quebec war unsere erste richtige Großstadt in Kanada, und plötzlich saßen wir mitten im Asphalt-Dschungel: sechsspurige Stadtautobahnen, Spurwechsel, Tempo des fließenden Verkehrs nicht unter 100 km/h, LKW, die wie Berge auf Rädern daher rollen. 

Da bwünscht man sich das 80–90 km/h Landstraßentempo zurück, obwohl – aber auch hier geht es brutal zur Sache: Ein tonnenschwerer Supertruck setzte sich hinter uns: riesige Auflieger, die lange Schnauze, beleuchtet wie ein Weihnachtsbaum und schnell unterwegs. Der Wagen kam näher – kein freundlicher Abstand, sondern Luftdruck im Nacken. Meine Gedanken rasten: Spurwechsel erlaubt? Überholen? Wohin ausweichen? Dann, im Moment der Entscheidung, gelang’s: Ein kurzer Spurwechsel, ein kleiner Schlenker, dann 130 km/h (ja, entgegen der Regel, aber der Adrenalinpegel war schuld) – und zack, der LKW verschwand im Rückspiegel. Herz klopfte, Hände kribbelten – aber wir hatten’s geschafft. Keine Blechschäden, kein Hupen, nur die Erinnerung daran, dass selbst in ruhigen Reiseflows solche Konfrontationen passieren können.

Nachdem wir den Großstadtdschungel hinter uns gelassen hatten, führte uns der Weg in den Parc national de la Jacques-Cartier, nördlich von Québec. Unser Ziel war die Loup-Wanderung (französisch „Les Loups“) am Mont Sautauriski

Der Trail ist eine der spektakuläreren Touren des Parks: Der Anstieg beginnt recht steil und fordert Kondition, denn man steigt gut 452 Meter Höhenverlauf auf. Nach einiger Zeit erreicht man den ersten Aussichtspunkt auf ca. 574 m – ein Panoramablick über das Tal der Jacques-Cartier und die steilen Wände entlang des Flusses. Die zweite Hälfte der Strecke ist weniger steil, aber technisch anspruchsvoll: Pfade werden schmaler, der Boden felsiger, gelegentlich klettern wir  ausgesetzte Passagen entlang von Steilhängen. Am Gipfel auf 727 m steht man dann über dem Laurentischen Gebirge, mit Blick auf das Tal, den Fluss und die umliegenden Wälder. 




Wir starteten mittags, durch dichten Herbstwald, Laub raschelte unter den Stiefeln, Lichtflecken spielten auf dem Boden. Der Weg wurde steiler, der Atem schwerer. Teilweise mussten wir kleine Felsen hochklettern, über Baumstämme steigen. Immer wieder Pausen, um den Blick zurück ins Tal schweifen zu lassen, um Farben zu entdecken, um Stille zu atmen.

Sonntag, 28. September 2025

Von Schluchten zu Stufen: Sainte-Anne trifft Montmorency

Zwischen Hängebrücken und Treppenkunst – Québecs Wasserfälle

 Unsere nächste Etappe von Baie-Saint-Paul nach Québec war mal eine der kürzeren: knapp 100 km. Aber wir wollten nicht einfach durchfahren – auf dem Weg lagen Wasserfälle, Schluchten und ein Park, der uns mehr überraschte, als wir je gedacht hätten.

Unser erster Stopp war der Canyon Sainte-Anne  an der Route 138. Was auf den ersten Blick wirkte wie ein Freizeitpark mit Eintritt und Zipline, entpuppte sich als spektakulöser Naturort mit tiefer Schlucht, hohen Wasserfällen, vielen Treppen und schwebenden Hängebrücken. 

Der Hauptwasserfall stürzt 74 Meter in die Tiefe – höher als oft gedacht und durchaus imposant. Es gibt drei Hängebrücken, darunter eine die 60 m über der Schlucht hängt.Wir zahlten den Eintritt – 14,50 CAD – und betraten das Gelände mit mehr Neugier als Erwartung. 



Der Weg durch den Canyon ist charmant angelegt: viele Treppenstufen führen hinab, hinauf, entlang der Schlucht, zu Aussichtsplattformen, über Brücken und durch den Wald. Manchmal blickt man direkt an die tosenden Wassermassen herab, an anderen Stellen hört man sie nur als tiefes Grollen unter sich.





Wir verließen den Canyon Sainte-Anne mit noch nassem Gänsehautgefühl von Brücken und Schluchten und fuhren weiter Richtung Québec. Der Plan: nicht nur vorbeischauen, sondern ganz nach oben klettern – zu Montmorency Falls, dem Wasserfall, der sich vor Kraft kaum halten kann.

Schon von weitem sieht man den Sprühnebel, der in der Luft hängt, und hört das Donnern, bevor man den Boden spürt. Der Montmorency Falls Park liegt nur rund 12 km von der Altstadt Québecs entfernt. Der Wasserfall stürzt auf etwa 83 Meter – damit ist er rund 30 Meter höher als Niagara Falls.

Im Park gibt es mehrere Wege nach oben und mehrere Perspektiven: Man kann mit der Seilbahn hochfahren, mit dem Auto näher gelangen oder … sich sportlich beweisen und die 487 Stufen der Panoramatreppe erklimmen, die sich entlang der Felswand nach oben ziehen. Wir entschieden uns natürlich für das Hochlaufen.

Wir starteten am Fuß, mit Blick auf die tobende Gischt, deren Sprühnebel uns schon beim ersten Schritt einwehte. Die ersten Stufen waren noch freundlich – breite Holzstufen, Geländer, Atmen klar und frisch. Doch bald wurde es steiler: der Weg schwenkte zur Felswand, der Treppenabschnitt wurde schmaler, die Stufen höher, der Blick tiefer.

Man hört unter sich das Wasser, sieht es hinabstürzen, tropfende Felsen, grünen Bewuchs, Dunkelmoos. Der Nebel erreicht uns, manchmal ein Tropfen im Gesicht. Der Puls steigt, die Beine wollen nicht mehr Treppen steigen. Pause auf der Brücke zum gegenüberliegenden Ufer, ein Blick über Strom, Felsen und Wipfel.

Oben angekommen ist der Ausblick eine Belohnung: man steht über der Falte der Erde, sieht Québec City in der Ferne, den St. Lorenz-Strom ausgebreitet, die Inseln und Brücken. Der Wasserfall darunter fällt in gewaltiger Wucht und spielt mit Licht und Schatten, mit Regenbögen und Gischt. Und ab und zu fliegt ein mutiger Zipliner am tosenden Wasserfall vorbei. 



Wir gönnten uns Zeit, nah an die Kante, fühlten die Kraft, fotografierten, staunten – und dachten daran, wie anders die Blicke beim Canyon Sainte-Anne waren, mit seinen schmalen Schluchten und schwebenden Hängebrücken. Hier war es größer, wuchtiger, majestätischer – aber beide Orte verband derselbe Zauber: Natur, Höhenmeter, Gefahr und Schönheit.

Der Rückweg war eine Mischung aus Genuss und Erschöpfung – Treppen hinab, kleine Umwege, nochmal Stops für Perspektivwechsel. Aber immer mit dem Gefühl: das war keiner der Wasserfälle, den man „einfach so mitnimmt“.

Mit dem Rad um die Apfelinsel – Île aux Coudres

 Baie-Saint-Paul – Künstlerstadt am Strom

Wir haben uns für zwei Tage Baie-Saint-Paul als unsere Basis ausgesucht. Der Ort liegt am Nordufer des Sankt-Lorenz-Stroms und wirkt fast wie ein Geheimtipp: eine lebendige Innenstadt, viele Galerien, Künstlerateliers, kleine Geschäfte, Cafés, ein mexikanisches Restaurant und eine sehr angenehme, überschaubare Größe.

Baie-Saint-Paul gilt als kulturelles Zentrum in der Region Charlevoix – mit dem Ruf, besonders licht- und landschaftsinspirierend für Maler und Künstler zu sein. Ein nettes Detail: der Cirque du Soleil hatte hier seine Anfänge – die Stadt hatte sich 2007 sogar den Titel „Capitale culturelle du Canada“ gesichert. 




Auf zur Insel – Isle‐aux‐Coudres

Mit Fahrrädern wollten wir die Insel gegenüber umrunden. Dafür gibt es eine kostenlose Fähre von Baie-Saint-Paul zur Île aux Coudres. Die Fähre verkehrt alle 30 Minuten und kann 50–60 Autos transportieren. Wir hatten Glück – keine lange Wartezeit, und schon bald fuhren wir auf die Insel.

Der Plan: mit dem Rad die Insel umrunden – etwa 25 km – das sollte doch machbar sein.

Der Fahrradverleiher nahm unseren Personalausweis als Pfand und wies uns auf Versicherungsbedingungen hin: Asphaltstraßen erlaubt, auf Wald- oder geschotterte Wege (gravel roads) verboten und zwar strengstens.

Die ersten Kilometer führten – ganz brav – auf asphaltierten Straßen entlang, durch sanfte Hügel. Aber schon nach ca. 5 km merkte ich, dass mich das Bergauf ohne Motor anstrengt – gefühlte 500 Höhenmeter? Natürlich genau dann, wenn der Körper sagt: Kaffee und Apfelkuchen! Die Insel ist kulinarisch bekannt für all das, was mit Apfel zu tun hat: Apfelkuchen, Apfelwein, Apfelschnaps. Der Ahornsirup lebt hier im Schatten.

Wir wollten auch die Leuchttürme erkunden – und einer von uns war (und ist) großer Fan beleuchteter Seezeichen. Kaum bog ein Weg rechts ab – natürlich unbefestigt – war klar: wir ignorieren die Warnung des Vermieters. Den ersten Kilometer schoben wir die Räder durch einen Waldwanderpfad – nicht der richtige Weg, aber Abenteuer riecht eben selten nach Asphalt.

Etwa 30 Minuten und steilere Passagen später beschlossen wir: ab hier wird gewandert. Die Räder blieben am Rand stehen. Der Pfad war steil und wäre sicher nicht gedeckt von irgendeiner Versicherung, sollte etwas passieren. Fahrraddiebstahl , davon hat der Vermieter nichts gesagt. 

Nach etwa einem Kilometer spürten wir, dass wir richtig lagen: wir sahen den Leuchtturm – erreichbar nur bei Ebbe –, fotografierten und genossen den Blick. Auf dem Rückweg: Überraschung – die Fahrräder standen noch da! Alles heil, keine Diebstahlswarnung, wir konnten weiterfahren.



Mit allen Stopps und dem Umweg haben wir für die 30 km fast 4 Stunden gebraucht. Aber wir erreichten die Highlights der Insel: kleine Strände, Äpfel, malerische Küstenabschnitte, Feldwege, Aussichtspunkte und – natürlich – Leuchttürme.





Knöcheltief im Fjord, teelöffeltief im Sirup

 Nach unserem Ausflug tief in die kanadische Fjordlandschaft ging es zurück an den Sankt-Lorenz-Strom, nach Baie-Saint-Paul. Unterwegs wollten wir uns unbedingt noch von den Walen verabschieden – diesmal von der anderen Seite der Bucht.





Wir kamen bei Ebbe an und zogen unbedarft los, weit hinein in den „trockenen“ Fjordarm. Fernglas und Kamera stets griffbereit, um den Wal des Tages festzuhalten. Doch so richtig vorbereitet waren wir nicht auf die Geschwindigkeit, mit der die Flut hier das Wasser zurückdrückt. Kaum hatte man das Fernglas auf die weißen Belugas scharf gestellt, stand man plötzlich knöcheltief im Wasser. Also hieß es: Rückzug, Schritt für Schritt, während das Wasser schneller stieg, als wir gucken konnten.

Später, auf einem Markttag, stand dann das nächste typisch quebecerische Thema an: Ahornsirup. Schließlich sind wir im Mutterland des süßen Goldes. Und die Tagesaufgabe lautete: einen Überblick über die verschiedenen Qualitäten gewinnen.


Ahornsirup – Farbe, Geschmack, Erntezeit

In Québec gilt seit 2016 eine einheitliche Klassifizierung: Alle Sirupe sind 100 % rein – die Unterschiede liegen in Farbe und Geschmack.

  • Golden, delicate taste
    – Sehr hell, mild im Geschmack, frühe Erntezeit (Ende Februar/März).
    – Beliebt zum direkten Genießen (Pancakes, Joghurt).

  • Amber, rich taste
    – Bernsteinfarben, vollmundiger Geschmack, Haupterntezeit im März.
    – Universell einsetzbar, der „Allrounder“.

  • Dark, robust taste
    – Dunkel, kräftig, später im Frühjahr geerntet.– Intensiver Geschmack, passt gut zum Kochen, für Marinaden oder kräftige Desserts.

  • Very dark, strong taste
    – Fast schwarz, sehr kräftig, aus der letzten Erntephase.
    – Wird oft für die Küche genutzt, weniger zum puren Naschen

Wichtig: Die Farbe sagt nichts über „besser oder schlechter“, sondern nur über den Erntezeitpunkt und die Geschmacksintensität.

Und ein Biosiegel? Macht kaum Sinn – wer düngt schon Ahornwälder mit giftigen Chemikalien? Am Ende hilft nur eins: kosten. Ein Teelöffel pro Sorte, mindestens. Spätestens ab dem dritten Löffel ist eh alles nur noch süß, und man muss sich an seinen persönlichen Favoriten rantasten. Oder, wie uns ein Verkäufer verschmitzt erklärte: „Nicht Sie suchen den Sirup – der Sirup sucht Sie.“

Freitag, 26. September 2025

Steil, schlammig, verlaufen – ein perfekter Wandertag

Indian Summer im Extremmodus: 12 Kilometer Mont-Valin

 Wir haben uns für zwei Nächte im Fjordhotel in Saguenay eingenistet. Von hier aus sollte es nun endlich auf eine „richtige“ Wanderung gehen – keine kleinen Bretterstegrunden am Fjordufer, sondern eine echte Bergtour, durch den farbgetupften Herbstwald, mit Höhenmetern, Schweiß und allem Drum und Dran. Ziel: der Mont-Valin-Nationalpark, nur ein Stück nördlich von Saguenay.


Die erste Überraschung gab’s schon am Eingang: Unser stolz erworbener „Expeditionspass für alle kanadischen Nationalparks“ – tja, der gilt in Québec nicht. Offenbar zählt Québec nicht so richtig zu Kanada, jedenfalls nicht in dieser Hinsicht. Also mussten wir noch einmal in die Tasche greifen für einen Tagespass der „Sépaq“-Parks. Aber ehrlich: Das Geld ist gut angelegt. Ein perfektes Informationszentrum mit blitzsauberen WCs, eine kleine Ausstellung, und Mitarbeiter, die so freundlich sind, dass man fast denkt, man habe einen persönlichen Guide gebucht. Und nicht zuletzt: hervorragend gepflegte Wanderwege. Dafür sind 8 € pro Tag mehr als fair.

Dann ging es los. Die Zahlen sprechen für sich: 12 Kilometer, 700 Höhenmeter, knapp 5 Stunden. Das war für meine Beine mindestens eine Herausforderung, für meinen Kopf zwischendurch auch. Wir stapften bergauf, vorbei an Ahornbäumen, die in allen Rot- und Gelbtönen explodierten, zwischendurch immer wieder Ausblicke auf das Saguenay-Hinterland. Jedes Mal dachte ich: schöner kann es nicht werden – und fünf Minuten später war es noch schöner.

Natürlich wäre es keine echte Wanderung von uns, wenn wir uns nicht auf dem Rückweg „noch schnell“ einen zusätzlichen Gipfelsieg gönnen wollten. „Nur noch der eine Hügel da vorn.“ Ergebnis: steil, schlammig, und wie so oft die Frage: Sind wir noch auf dem Weg oder schon wieder im Busch? Mit Karte, Schweiß und Humor haben wir’s zurück geschafft.

Am Ende waren wir erledigt, aber glücklich. Und auch wenn es klingt wie eine kaputte Schallplatte in jedem Blogeintrag: der Indian Summer ist wirklich jeden Tag ein neues Erlebnis. Diese roten Ahornwälder, die gelben Birken, die dunklen Fichten dazwischen – man kann sich nicht sattsehen. Und vielleicht war das Verlaufen am Ende gar kein Fehler, sondern einfach nur ein Umweg durch eine noch schönere Farbpalette.






Vier Wochen Kanada – und kein Tag wie der andere – ein Reiserückblick

Am Strom der Erinnerungen Wir sitzen am Ufer des St. Lorenzstroms, Montreal liegt hinter uns, und wir versuchen, die letzten vier Wochen Kan...