Einsamkeit, Jagdsaison und ein bisschen Abenteuer
Wir waren nun wohl wirklich in der touristischen Nachsaison angekommen – und das machte sich sofort bemerkbar. Die Vorteile lagen auf der Hand: man war völlig allein, konnte den See, die Stille, die Wälder ganz für sich genießen. In unserer Resortanlage, in der wir die nächsten Tage wohnen sollten, begegnete man kaum einer Menschenseele. Kein Stimmengewirr, kein Kindergeschrei, keine Reisegruppen. Nur wir und der Lac Taureau.
Doch natürlich hatte die Nachsaison auch ihre Schattenseiten. Die touristische Infrastruktur verabschiedete sich gerade in den Winterschlaf. Der 1.Oktober scheint ein markantes Datum zu sein. Als wir am Dienstag eintrafen, eröffnete man uns freundlich, aber bestimmt, dass beide Gaststätten der Anlage bis Freitag geschlossen bleiben würden. Also blieb uns nichts anderes übrig, als zurück in den nächsten Ort zu fahren – rund 15 Kilometer entfernt – um uns dort mit Lebensmitteln für Frühstück und Abendessen einzudecken. Improvisation gehörte eben dazu, und genau das machte das Ganze ja auch zu einem kleinen Abenteuer.
Der nächste Morgen begann dann so, wie man ihn sich in Kanada kaum schöner wünschen konnte: mit einer Joggingrunde am kühlen Ufer des Lac Taureau. Nebelschwaden hingen noch über dem Wasser, die Sonne kämpfte sich vorsichtig durch die Baumwipfel, und jeder Atemzug war so frisch, dass man das Gefühl hatte, ihn in Flaschen abfüllen und mit nach Hause nehmen zu können.
Doch was macht man mit so viel Einsamkeit? Richtig – wandern! Also fragten wir an der Rezeption nach geeigneten Strecken. Die Antwort war ernüchternd: Nur wenige Wanderwege seien derzeit begehbar. Denn die Jagdsaison hatte begonnen, und der Nationalpark Lac Taureau war zum größten Teil gesperrt. Flatterbänder in grellem Orange, machten unmissverständlich klar: „Betreten verboten – Lebensgefahr!“
Aber mal ehrlich: Was wäre ein Abenteuer ohne zumindest einen kleinen Schuss Risiko? Und weit und breit waren keine Jäger zu hören. Wahrscheinlich hielten die gerade in unseren Resort das Jahrestreffen und verteilten die Abschusslizenzen für Hirsch und Bär. Also bogen wir kurzerhand in einen scheinbar harmlosen Waldweg ab. Schon nach wenigen Minuten wartete die erste Überraschung: eine Biberburg. Riesige Holzstämme, kunstvoll verbaut, ragten aus dem Wasser. Und als wir genauer hinsahen, erkannten wir, wie die fleißigen Architekten des Waldes durchs Wasser zogen und ihre Festung bewachten.
Ein eigentümliches Gefühl stellte sich ein, als wir merkten, dass der Weg direkt unterhalb des angestauten Wassers entlangführte. Nur ein halber Meter trennte uns von dem kleinen See, den die Biber mit ihrem Bau aufgestaut hatten. Über uns platschten und planschten die Tiere, während wir uns leise fragten, ob dieses Naturbauwerk wohl wirklich so dicht hielt, wie es aussah. Und was passiert wenn der niedliche Biber sich gestört fühlt und den Stepsel zieht? Bedrückend – aber auch faszinierend.
Wie so oft bei unseren Ausflügen blieb es natürlich nicht beim Plan. Der ausgeschilderte Rundweg sollte gemütliche 3,7 Kilometer umfassen – ein kleiner Spaziergang also, ideal für den Nachmittag. Doch irgendwo zwischen Biberburg, gesperrten Pfaden und spontanen Abzweigungen verloren wir die Orientierung. Aus dem „kleinen Hike“ wurde ein ausgewachsener Marsch: 15 Kilometer quer durch den Wald, stolze vier Stunden lang.
Aber trotz müder Beine und einer gewissen Skepsis, ob wir jemals wieder zur Anlage zurückfinden würden, hat es sich gelohnt. Jeder Umweg bescherte uns neue Ausblicke: stille Waldlichtungen, in denen das Sonnenlicht wie goldener Staub zwischen den Bäumen flirte und sogar Pilze. Am Ende kamen wir erschöpft, hungrig (aber wir hatten ja Pilze gefunden) – und ein klein wenig stolz – wieder zurück. Und einmal mehr stellte sich heraus: die schönsten Geschichten entstehen nie auf der geplanten Route.
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