Freitag, 3. Oktober 2025

Indian Summer trifft Nordlicht

Kanada schenkt uns goldene Tage
Zum Wochenende hin veränderte sich die Atmosphäre im Resort spürbar. Wo zuvor Stille und Einsamkeit geherrscht hatten, füllte sich die Anlage nun langsam mit Leben. Ob es am bevorstehenden großen Ereignis lag oder einfach an der Lust der Städter aus Montreal, das Wochenende noch einmal in den Wäldern und am See zu verbringen – schwer zu sagen. 
Für uns war das allerdings kein Grund zur Klage. Im Gegenteil – wir nutzten den wunderbar milden Herbsttag, um uns selbst noch einmal ins Wasser zu stürzen. Erst zog es uns in den Pool des Resorts, doch die eigentliche Krönung war das Bad im See. Das klare Wasser des Lac Taureau war kühl, frisch und belebend.
Wenn ich an diesen Urlaub zurückdenke, dann gehört unser Wetterglück definitiv zu den Dingen, die den Aufenthalt unvergesslich gemacht haben. Kanada im Herbst, das bedeutet nicht nur die berühmten Laubverfärbungen in allen Schattierungen von Rot, Gelb und Orange, sondern auch eine Jahreszeit, die immer wieder für Überraschungen gut ist.
Wir haben genau diese Phase erwischt, die man hier den „Indian Summer“ nennt – eine kurze Zeit im Herbst, in der sich der Sommer noch einmal zurückmeldet. Tagsüber war es angenehm warm, die Sonne ließ die Wälder in voller Pracht leuchten, und abends kühlte es gerade so weit ab, dass man sich mit einer Decke oder einem Pullover an den See setzen konnte.
Natürlich gab es auch kühle Morgen, an denen der Atem wie feiner Nebel in der Luft stand. Doch genau das machte den Reiz aus: die Mischung aus milder Wärme und klarer Frische. Kein Regen, keine graue Dauerbewölkung, sondern fast jeden Tag ein Himmel, der so blau war, als hätte ihn jemand frisch aus dem Farbkasten geholt.
Kurz gesagt: Wir hatten wieder einmal richtig Glück mit dem Wetter.

Wir waren gerade dabei uns nach dem kühlen Bad im See von der Sonne trocknen zu lassen, um da trat plötzlich eine junge Frau in Erscheinung – eine der Animateurinnen des Resorts, mit Kreide und Tafel bewaffnet. Mit schwungvollen Zügen schrieb sie in großen Lettern die Tagesneuigkeit auf:

Soweit reichten unsere rudimentären Französischkenntnisse schon:
„Heute Abend ab 23 Uhr: Nordlichter.“
Polarlichter – das war doch eigentlich eine Attraktion des hohen Nordens, von Alaska, Lappland oder Island. Und nun, mitten in Quebec, am Lac Taureau, sollten wir Zeuge dieses Schauspiels werden? Für unsere letzte Polarlichtjagd sind wir mal extra nach Island geflogen - und sollten wir hier nun wirklich dieses Naturschauspiel serviert bekommen? 
Und so standen wir pünktlich 23:00 Uhr dort – und warteten. Aus unserer Walbeobachtung wussten wir ja - das Geduld der Schlüssel allen Erfolges ist. Der See lag spiegelglatt vor uns, der Himmel wolkenlos. Jede Minute schien länger zu dauern als die vorherige. Es war, als hätte die Natur selbst den Vorhang in die Höhe gezogen – bereit für ein Schauspiel, das man sein Leben lang nicht vergisst. 
Und dann, fast unmerklich, begann es. Zunächst war da nur ein matter Schimmer am nördlichen Horizont, kaum heller als eine Wolke im Mondlicht. Manche tuschelten schon, das sei wohl nichts, nur eine Einbildung. Doch nach einigen Minuten breitete sich das Licht weiter aus – wie ein milchgrüner Schleier, der langsam über den Himmel zog.
Es war kein dramatisches Feuerwerk, wie man es von Postkarten aus Island kennt. Kein wildes Tänzeln in allen Regenbogenfarben. Hier am Lac Taureau wirkte es stiller, verhaltener, beinahe scheu. Ein leises Glühen, das sich bewegte wie ein Atemzug. Mal wurde der Schleier dichter, mal löste er sich wieder auf, als wolle er mit uns spielen.
So standen wir lange da, fröstelnd, mit hochgereckten Köpfen. Und irgendwann merkte man, dass die eigentliche Magie nicht in der Intensität lag, sondern darin, Zeuge zu sein. Nordlichter – in Kanada, Anfang Oktober. Ein Moment, der so unscheinbar begann, dass man ihn fast hätte übersehen können. 

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